AWO Niedersachsen fordert Lauterbach zu raschem Handeln auf / Sockel-Spitze-Tausch und Entbürokratisierung / Gesellschaft muss sich entscheiden, was ihr Pflege wert ist
Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutierten Vertreterinnen und Vertreter der AWO, AOK und Verdi mit Sozialminister Andreas Philippi über die Zukunft der Pflege in Niedersachsen. Zwei Hauptrichtungen wurden dabei deutlich: Der Bund darf das System Pflege nicht weiter mit versicherungsfremden Leistungen blockieren und es bedarf auf Landesebene weitgehender Modellvorhaben, um die Pflege insgesamt neu zu justieren.
Im Rahmen einer Diskussion der FES mit dem Titel „in Würde altern. Pflege sichern" ergab sich jetzt ein breiter Konsens für eine grundlegende Reform der Pflege in Deutschland. Um die Pflege in Deutschland kurz- bis mindestens mittelfristig zu sichern, sei eine Neupriorisierung im Bundeshaushalt wie auch eine spürbare Weiterentwicklung der Pflegereform nötig, konstatierten AOK und AWO. Mit bis zu 12,5 Mrd Euro sei die Pflegeversicherung durch versicherungsfremde Leistungen belastet. Vor diesem Hintergrund sei eine solide Finanzierung des steigenden Bedarfes illusorisch. Nur eine grundlegende Pflegereform könne diese Situation verändern. Die Reformen der letzten Jahre waren aus Sicht der Kassen und der sozialen Träger zumeist nur die oft zitierten Tropfen auf dem heißen Stein.
„Wir müssen den erst im Vorjahr eingeführten Bundeszuschuss zur Pflege in Höhe von einer Milliarde Euro, der nun wieder gestrichen wurde, unbedingt beibehalten. Wenigstens", so Dr. Harald Groth, Vorsitzender der niedersächsischen AWO-Landesarbeitsgemeinschaft. Und mehr noch: „Die Personalbemessung in den Einrichtungen und Diensten muss vollständig ins Gesetz übernommen werden, regionale Ungleichheiten für die gleichen Sachverhalte und Leistungen – wie wir sie tagtäglich erleben – sind zu beenden."
Auch Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, ist der Überzeugung, dass die Bedingungen in der Pflege in allen Bereichen für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wie auch Betreuenden zu verbessern und zu stärken sind, „das aber ist eine Kraftanstrengung, die das gemeinsame Engagement aller Beteiligten im Gesundheitswesen braucht. Die AOK Niedersachsen setzt sich aktiv dafür ein, Pflege flexibel und unbürokratisch neu zu gestalten und Pflegebedürftige und Betreuer nachhaltig zu entlasten." Hierfür sei mit der konzertierten Aktion Pflege in Niedersachsen (KAP.Ni) das geeignete Fundament gelegt worden.
Das niedersächsische Sozialministerium, die Träger sozialer Dienste, die Pflegekassen, die Kommunalen Spitzenverbände und die Vertretungen der Pflegekräfte haben sich hier gemeinsam um Verbesserungen in der Pflege bemüht und wegweisende Modellprojekte ermöglicht. Die Folgeaktion hat nun die Themen Fachkräftegewinnung, pflegende Angehörige sowie Entbürokratisierung und Digitalisierung zum Schwerpunkt.
Hier werde man sich auch laut Thore Wintermann, Geschäftsführer der AWO Niedersachsen LAG, weiter intensiv einbringen, um vor allem auch Modellvorhaben mit größerer Reichweite als bisher anzuregen. Quartierspflege, Reaktionen auf den Klimawandel oder Unterstützung von pflegenden Angehörigen seien hier Beispiele. Die Landesebene aber reiche hier eben nicht. Insbesondere der sogenannte Sockel-Spitze-Tausch solle vorangetrieben werden. Demnach würden Pflegebedürftige künftig ein klar definiertes und zeitlich begrenztes Risiko in Form eines Sockelbetrages tragen, während der Pflegeversicherung anders als bislang nicht die Pauschale, sondern eben das nach oben offene Risiko der individuellen Bedarfe zufallen würde. „Solche Änderungen sind überlebensnotwendig, damit das System nicht vollends vor dem demografischen Wandel bei zeitgleichem Verlust an Fachkräften kollabiert", adressiert Wintermann im Rahmen des Deutschen Pflegetages, der diese Woche in Berlin stattfindet. Schirmherr ist hier der Bundesminister für Gesundheit – Prof. Dr. Karl Lauterbach.