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Der Schatz auf der Zunge


27. Juni 2024

50 Jahre Sprachheilkindergarten Delmenhorst / Bezirksverband trug gesellschaftlicher Entwicklung frühzeitig Rechnung

DELMENHORST. Ein kleines Lispeln, ein lautes Knacken, etwas stotterig, vielleicht auch überschlagend, fehlende Silben oder einfach wortlos verweilend: Sprach- und Sprechstörungen sind vielfältig, aber nicht immer offenkundig – ganz so wie ihre Ursachen. Seine Expertise aus 50 Jahren Begleitung, Unterstützung und auch Heilung hat da am Donnerstag (27. Juni) der AWO Sprachheilkindergarten an der Pommernstraße in Delmenhorst gefeiert.

Obgleich: Echte übergreifende Sprachheilarbeit ist erst seit 1980 bestimmender Part der hiesigen Ausrichtung. Zuvor und seit 1974, mit der Eröffnung als Regelkindergarten, gab es vor Ort lediglich eine angegliederte Sprachheilgruppe. „Wir haben hier die Bedarfe recht schnell erkannt und der gesellschaftlichen Entwicklung damit Rechnung getragen", so Thomas Elsner, Vorstandsvorsitzender des federführenden AWO Bezirksverbandes Weser-Ems.

Oberbürgermeisterin Gerlach: „Anker für Familien"

„Sie sind ein Anker für Familien – darüber sind wir als Stadt sehr froh", hob Delmenhorsts Oberbürgermeisterin Petra Gerlach in ihrem Grußwort hervor und betonte, dass Sprache der Schlüssel zur Welt sei. „Ich bin mir sicher, dass wir mit der AWO weiter einen verlässlichen Partner haben, um all die Herausforderungen im Sinne der Kinder positiv gestalten zu können und gemeinsam den jungen Menschen mit besonderen Problemlagen einen Ort geben, in dem sie Sicherheit und Vertrauen genießen. Hier bekommen sie die Möglichkeit, sich sicher zu entwickeln, um damit einen guten Start ins anschließende Schulleben zu haben."

32 Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren besuchen aktuell den Delmenhorster Sprachheilkindergarten am Rande des Wolleparks, alle erhalten intensive logopädische, aber auch weitere therapeutische Angebote. Basierend auf der Förderungs- und Bildungsfähigkeit aller jungen Menschen, werden die Angebote so organisiert und strukturiert, dass jedem Kind im geschützten Rahmen ein Leben nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten in sozialer Gemeinschaft ermöglicht wird. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang auch das 2009 eingeführte regionale Sprachbildungs- und Sprachförderkonzept in Delmenhorst, das die verbindliche Zusammenarbeit von Kindertagesstätten, Grundschulen und der Stadt mit seinen Fachbereichen regelt.

„Sprachheilarbeit ist absolute Herzenssache"

Grüße überbrachte da auch Uwe Weber, stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums im AWO Bezirksverband Weser-Ems. Der beigefügte Überraschungsscheck über 500 Euro zur freien Verwendung für Kinder und Einrichtung erfreute da nicht minder die 19 Mitarbeitenden, die den Kindern Tag um Tag „ein liebevolles, stärkendes und förderndes Umfeld gestalten wollen", so Dr. Lisa Rennecke vom Sprachheilkindergarten, „einige von uns sind seit über 20 Jahren hier – und die Sprachheilarbeit war und ist uns eine absolute Herzenssache". Das bedeutet nicht viel weniger als die volle Unterstützung bei der gesunden, glücklichen und zuversichtlichen Entwicklung, also dem (Er-)Wachsen eines jeden Kindes, und damit der künftigen sozialen Teilhabe.

Deutlicher Anstieg von Sprach- und Sprechstörungen

Dass die Anzahl der Kinder mit Sprech- und Sprachstörungen in den vergangenen Jahren stark zugenommen und den Bedarf an logopädischen, aber auch daraus resultierenden weiteren Hilfen deutlich gesteigert hat, ist ein gesellschaftliches Phänomen. Laut der jüngsten KKH-Studie (VÖ 2023) sei ein Anstieg um 59 Prozent binnen eines Jahrzehnts zu verzeichnen. Bundesweit seien damit rund neun Prozent der Kinder und Jugendlichen (6-18 Jahre) betroffen.

Dr. Johann Böhmann, Wissenschaftliche Leitung am Delmenhorster Institut für Gesundheitsförderung (DIG), warnte da gleichsam: „Die Sprachentwicklung ist ganz knallhart abhängig von der sozialen Situation. An der Sprachentwicklung kann man sehr früh sehr viel absehen. Die Kooperation von SGB V und SGB VIII ist da ausbaufähig, um es sehr diplomatisch zu sagen. Leider ist Sprache der Eintritt für ganz viele Dinge in der Gesellschaft."

Umso wichtiger also, dass nicht nur die Auswirkungen behandelt, sondern auch die Ursachen mitgedacht werden, hier also ganzheitlich gewirkt wird. Im Sprachheilkindergarten Delmenhorst erarbeitet daher ein interdisziplinäres Team aus Sprachtherapeut*innen, Motopäd*innen, Pädagog*innen und einer Psychologin abgestimmte Therapiepläne, damit das Sprechen wieder gelingt. Sich-Mitteilen-Können ist eine immens wichtige Voraussetzung für Bildung, aber auch, um sich sicher und selbstbewusst in seiner Lebenswelt bewegen und so Träume verwirklichen zu können – quasi der kleine, aber wertvolle Schatz auf der Zunge.

Mehr Informationen zum Sprachheilkindergarten Delmenhorst finden Sie hier.

WEITERE INFORMATIONEN ZUM THEMA

Sprachheilkindergärten der AWO Weser-Ems...
... gibt es seit 1957 im Portfolio. Die Einrichtung von professionalisierten Sprachheilzentren für Kinder – bis heute ein Markenzeichen des Verbandes – nahm da in Werscherberg bei Osnabrück ihren Anfang. Die erste stationäre sprachtherapeutische Einrichtung entstand, um betroffenen Kindern nach einer intensiven Therapie den Besuch einer Regelschule zu ermöglichen. Im Laufe der Jahre wurde das Angebot immer weiter ausgebaut. Die AWO Weser-Ems hat im Bereich Sprachförderung bundesweit Maßstäbe gesetzt und betreibt aktuell 16 Sprachheilkindergärten zwischen Cuxhaven und eben Werscherberg sowie drei Sprachheilzentren (Bad Salzdetfurth, Werscherberg, Wilhelmshaven).

Sprachdefizite sind beispielsweise ...
... ein fehlerhafter Satzbau, Lispeln, Poltern, das Auslassen von Lauten oder Silben, Redeflussstörungen im Allgemeinen, vielleicht auch ein völliges Verstummen. Die Auslöser sind dabei mannigfaltig. Mal ist es ein physiologischer Grund, vielleicht eine genetische Veranlagung, dann vielleicht ein akuter Schicksalsschlag oder dauerhafte familiäre Probleme. In den vergangenen Jahren ist ein weiterer mutmaßlicher Auslöser hinzugekommen – die digitalen Medien.

Der AWO Bezirksverband Weser-Ems ...
... bietet mit seinen weit über 4100 Mitarbeitenden zwischen Nordsee und Osnabrücker Land soziale Dienstleistungen in rund 80 Einrichtungen rund um Pflege, Kinderbetreuung, psychosoziale Teilhabe und Beratung an. Als politischer Verband vertritt dieser die Interessen der Menschen in der Region und setzt sich für eine demokratische und gerechte Gesellschaft ein.

Die Arbeiterwohlfahrt ...
...gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Bundesweit wirken in ihr über 300.000 Mitglieder, mehr als 72.000 ehrenamtlich Engagierte und 242.000 hauptamtliche Mitarbeiter*innen, um in unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen.

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