Bezirkskonferenz: Rund 100 Delegierte stimmen in Papenburg über den künftigen Weg ab / Dr. Harald Groth zum Ehrenvorsitzenden ernannt
Zurück in Papenburg: 25 Jahre nach der letzten großen Konferenz hat das höchste Gremium des AWO Bezirksverbandes Weser-Ems wieder in der nördlichsten Stadt des Emslandes getagt. Die bedeutendste Veränderung innerhalb der Verbandsstruktur: Mit Ulla Groskurt ist nach zwanzig Jahren wieder eine Frau an der Spitze. Die 76-Jährige war bislang Stellvertreterin von Dr. Harald Groth.
Standing Ovations für ein AWO Urgestein - Groth, bis dato noch tonangebender Vorsitzender des Präsidiums, war's offensichtlich unangenehm. Nach vielen Jahrzehnten Rund-um-die-Uhr-Engagement hatte sich der 80-Jährige wie Stellvertreter Dr. Lothar Knippert nicht mehr zur Wiederwahl gestellt, gleichwohl tiefe Fußabdrücke hinterlassen. Das vermerkte auch Claudia Mandrysch vom AWO Bundesvorstand in ihrer Rede. Sie richtete ihren Dank an Groth und Knippert: „Euer Engagement hat nicht nur die vergangenen Jahre geprägt - und das bundesweit -, sondern auch viele Grundsteine für unsere Arbeit in der Zukunft gelegt. Für den Verband, aber auch für die Entwicklung der Sozial- und insbesondere der Gesundheitspolitik in Deutschland." Die beiden Persönlichkeiten wurden in der Folge unter großem Applaus und einem emotionalen Filmbeitrag mit der Elisabeth-Frerichs-Medaille für enormes Engagement in und für die AWO ausgezeichnet. Mindestens Groth wird der AWO Weser-Ems jedoch erhalten bleiben – als Ehrenvorsitzender, zu dem er einstimmig berufen wurde.
Auch Ulla Groskurt wurde von den Delegierten ohne Gegenstimme ins höchste Amt gewählt – ein Beleg des Vertrauens in Person und Persönlichkeit wie der Wertschätzung ihres bisherigen Engagements unter anderem im niedersächsischen Landtag und im Kreisverband Osnabrück.
Überhaupt: Trotz mannigfaltiger Themenlagen und vieler gesellschaftlicher wie verbandlicher Herausforderungen wurde immer wieder das ehrenamtliche Engagement als wertvollstes Gut der AWO in den Fokus gerückt. Und das nicht nur von den 84 Delegierten aus der gesamten Weser-Ems-Region selbst, sondern auch von den zahlreichen hochkarätigen Gästen - neben Landtagspräsidentin Hanna Naber waren unter anderem Bremens Ex-Bürgermeister Henning Scherf oder auch Papenburgs Bürgermeisterin Vanessa Gattung vor Ort. Letztere betonte: „In einer Zeit, die von ständigen Veränderungen und Herausforderungen geprägt ist, spielt die AWO eine unverzichtbare Rolle in unserer Gesellschaft. Ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe ist heute wichtiger denn je."
Vorgestellt wurde zudem die deutschlandweit beachtete AWO Solidaritätsaktion „100 Boote – 100 Millionen Menschen", zu der auch die Mitglieder und Kreisverbände in der AWO Weser-Ems in diesem Jahr einen erheblichen Beitrag leisten. Ein beeindruckend gestaltetes XXL-Boot hatte der Kreisverband Emsland sogleich mit ins Foyer des Hotels Alte Werft gebracht.
„Eine harmonische Veranstaltung, die trotz zahlreicher Tagesordnungspunkte zu schwierigen Themen und auch trotz wehmütiger Abschiede zeigt, wie wir als AWO in ganz Weser-Ems zu- und füreinander einstehen. Ich sehe uns für die nächsten Jahre im Verband sehr gut aufgestellt und ziehen alle an einem Strang – dieses Zeichen senden wir", so Thore Wintermann, hauptamtlicher Vorstand Verband und Politik. Und: „Die aktuellen Demonstrationen gegen Rechts und Ausgrenzung in jeglicher Form sehen wir als Auftrag zur Selbstverpflichtung, unsere Demokratie zu stärken und zu verteidigen. Entsprechend werden wir weitere Aktionen und Projekte in diesem und nächstem Jahr entwickeln und umsetzen."
Konferenz-SPLITTER
Die gesamte AWO in Niedersachsen ist ab sofort in weiblicher Hand: Mit Ulla Groskurt (76) steht nun wieder eine Frau an der Spitze des AWO Bezirksverbandes Weser-Ems. Damit arbeitet die Vorsitzende des Präsidiums nicht nur auf Augenhöhe mit Angelika Tumuschat-Bruhn (AWO Bezirksverband Hannover) und Gabriele Siebert-Paul (AWO Bezirksverband Braunschweig), sondern bildet mit ihnen gleichsam eine ganz besondere ehrenamtliche und insbesondere soziale Phalanx in Niedersachsen.
Für genügend Erfahrung im Präsidiums-Vorsitz sorgen trotz des Rückzugs von Dr. Harald Groth und Dr. Lothar Knippert künftig neben Groskurt die gewählten Stellvertreter Uwe Weber (64), Wolfgang Kirchner (69) und Wolfgang Wulf (72). Alle drei haben sich bereits vieljährig ihr Vorschuss-Vertrauen im Präsidium verdient, Wulf insbesondere an der Seite von Knippert und Groskurt.
Bleibenden Eindruck hinterließ Bremens Ex-Bürgermeister Henning Scherf. Nicht nur, dass er die Großversammlung plötzlich zu einem vielstimmigen Kanon „Viel Glück und viel Segen" animierte („Bei der Arbeiterbewegung hat das große Tradition, auch bei Marie Juchacz [AWO-Gründerin] wurde immer gesungen!"). Bei einer aufrüttelnden Aktion der AWO Azubis sicherte er sich zudem einen Preis, profitierte dabei aber auch möglicherweise von breitem gesellschaftlichen Wissen ... „Wie viele Menschen sind aktuell auf der Flucht vor Krieg und Katastrophen?" lautete die zugehörige Quizfrage. 114 Millionen Menschen wäre die richtige Antwort, Scherf lag mit 100 Mio am dichtesten dran.
Zahlreiche hauptamtlich Mitarbeitende der AWO Weser-Ems mit Sitz in Oldenburg haben dafür gesorgt, dass die für das Ehrenamt so bedeutsame Veranstaltung nach rund sieben Stunden Rückschau, Erdung, Planung und Entwicklung mit gutem Gefühl und auch dem ein oder anderen wohlwollenden Tränchen beendet werden konnte.
Auch Revisor Karl-Heinz Schneider (Delmenhorst) wurde vor Ort mit der Elisabeth-Frerichs-Medaille ausgezeichnet. Er hatte sich nach langer AWO Tätigkeit nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung gestellt. Gerd Treiber wurde in Abwesenheit gewürdigt.
ZITATE aus der Bezirkskonferenz
Vanessa Gattung, Bürgermeisterin der Stadt Papenburg:
„Die Alte Werft ist nicht nur ein Ort der Erinnerung, sondern auch ein Symbol für den Mut und die Innovationskraft der Menschen in Papenburg. Ihr Wandel über die Zeit spiegelt die Geschichte und Entwicklung der Stadt wider und ist ein Zeugnis für die Fähigkeit, sich den Herausforderungen anzupassen und neue Wege zu gehen. Welcher Ort würde sich daher besser für eine Bezirkskonferenz der AWO eignen? Die AWO, als eine der ältesten und bedeutendsten Wohlfahrtsorganisationen, verkörpert ebenfalls den Geist des Wandels und der Anpassungsfähigkeit."
Dr. Harald Groth, nun Ehrenvorsitzender des Präsidiums der AWO Weser-Ems:
„Wir haben gute einvernehmliche Arbeit geleistet. Natürlich gab es Dispute und Debatten, die dazu gehören und auch unsere Aufgaben sind, um die jeweiligen Positionen klar zu machen – aber wir sind freundschaftlich-konstruktiv sehr ergebnisorientiert miteinander umgegangen. Dafür dem Vorstand, Thomas Elsner an der Spitze, ein ganz herzliches Dankeschön.
Im Land brauchen wir ein modernisiertes Kita-Gesetz, es gibt dringenden Reform-Bedarf in der Pflege. Wir müssen raus, uns engagieren. Hauptamtliche und Ehrenamtliche müssen im Grunde Verteidiger der Demokratie über unsere sozialpolitischen Inhalte werden. Das ist unerlässlich. Wir können uns nicht zurückziehen und hoffen, dass es andere liefern. Wir müssen es tun. Nun ist zu klären, dass die Nichtwähler durch unser Engagement wieder zu Wählern der demokratischen Parteien werden. Wir haben nicht nur das Sozialpolitische in den nächsten Jahren zu verteidigen gegen knappere Finanzen und Ressourcen, wir müssen die Demokratie aktiv verteidigen. Und das geht nur durch Engagement. Das geht nur dadurch, dass man raus geht, sich einbringt und bekennt. In diesem Sinne eine herzliche Einladung an alle – für die Demokratie!"
Claudia Mandrysch, AWO Bundesvorstand:
„Wenn wir ehrlich sind, bröckelt die Substanz unserer demokratischen Institutionen seit vielen Jahren. Ja es gibt sie, die Menschen, die enttäuscht sind vom Stillstand, von den ständigen politischen Streitereien, von zu wenig Lösungsorientierung, sich über mangelnde Beteiligung beklagen – oder überfordert sind mit zu schnellen Transformationen – sie wenden sich in Folge denen zu, die einfache Lösungen anbieten: den Populist*innen. [...] Es soll und darf uns aber keine Angst machen – ganz im Gegenteil: Kundgebungen allein werden natürlich nicht ausreichen – aber sie zeigen doch das Potential, dass eine organisierte und couragierte Zivilgesellschaft besitzt. Die Politik entfernt sich und unterschätzt unser Potential als wertvolles, zivilgesellschaftliches Frühwarnsystem von sozialen Belangen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Bei uns wird Ehrenamt und Engagement gelebt – wir handeln aus Überzeugung, auch und gerade da, wo andere nicht hingucken. Unsere Arbeit in den Quartieren – sei es in der Pflege, bei der Gesundheitsprävention, bei der Kinderbetreuung oder in der Jugendhilfe – ist AWO-DNA. Wir motivieren und befähigen Menschen, in ihrem direkten Umfeld aktiv zu werden, sich einzusetzen und selbstwirksam zu sein."
Hanna Naber, Landtagspräsidentin, 2011-2017 Geschäftsführerin der AWO Weser-Ems:
„Das war für mich tatsächlich, und jetzt bekomme ich schon Gänsehaut, wie zu einer Familienfeier zu kommen. Das war sehr AWO herzlich. Und als dann die Satzungsdiskussion kam, dachte ich: Familie kann man sich nicht aussuchen... Wenn ich irgendwann aufs Altenteil gehe oder mich beruflich zurückschraube: Ich hab nicht vergessen, was Ihr für mich getan habt. Vielleicht kann ich dann ja wieder etwas zurückgeben."