Svenja Eggers (21) und Leon Jänicke (22) studieren Soziale Arbeit dual / Mehrere Praxis-Standorte in der Region / Neue Bewerbungsphase angelaufen
Sozialer Job oder Studium? Geld verdienen oder eher ehrenamtlich tätig sein? Selbst vorankommen oder vielleicht doch besser Mitmenschen unter die Arme greifen? Für Svenja Eggers und Leon Jänicke gibt's kein Entweder-Oder, sondern nur ein Sowohl-Als-Auch. Bei der AWO Weser-Ems haben sie im vergangenen Herbst das Duale Studium Soziale Arbeit aufgenommen. Jetzt teilen sie ein Jahr Erfahrungswerte – und ermutigen andere junge Menschen dazu, ihnen nachzueifern.
Svenja Eggers ist zwar gerade einmal 21 – hat aber schon reichlich ehrenamtliche Arbeit hinter sich, war unter anderem an einer Schule für Kinder mit Behinderung in Uganda tätig. Leon Jänicke hingegen, 22, war viele Jahre ehrenamtlich im Fußballsport daheim, hat zudem Weiterbildungen zur Streitschlichtung und Teambildung absolviert. Beide eint das Bedürfnis, Herz und Kopf beruflich zu vereinen. Der Schritt zur AWO Weser-Ems, einer der größten Arbeitgeber der Region, war da ein leichter. Im Interview erzählen sie von den Irrungen und Wirrungen des Alltags, vom Guten und auch vom Besseren ihres Jobs.
Die Zeiten sind aktuell rau, die Zukunftsprognosen insbesondere im Sozialen Sektor belastet. Wie kommt man da auf die Idee, sich der Sozialen Arbeit zu widmen – insbesondere via Studium?
Eggers: Die heutige Gesellschaft ist geprägt von sozialer Ungleichheit. Dass die Soziale Arbeit da versucht, unter anderem Prozesse sozialer Ausschließung einzuschränken und Partizipation am gesellschaftlichen Zusammenleben für alle Menschen zu ermöglichen, ist meines Erachtens nach in der heutigen Zeit essenziell, um eine weitgehende Chancengleichheit für Menschen in allen Lebenslagen zu fördern. Aus diesem Grund sehe ich die Soziale Arbeit als wichtige Profession an. Ich habe viele Studiengänge in Betracht gezogen, beispielsweise Sonderpädagogik oder Lehramt, aber auch Ausbildungen wie die Erzieher- oder Heilerziehungspfleger-Ausbildung haben mich interessiert. Schließlich habe ich mich für ein duales Studium in der Sozialen Arbeit entschieden, da durch diese Studienform bereits von Beginn an Theorie und Praxis verknüpft werden und die Soziale Arbeit außerdem eine Menge berufliche Chancen in verschiedenen Bereichen bietet.
Neben den formalen Grundvoraussetzungen gibt es einige „Social Skills", die bei der AWO erfüllt werden müssen – so beispielsweise eine hohe Empathie und Freude am Umgang mit Menschen. In Zeiten sozialer Medien scheint eben das jedoch immer seltener zu werden. (Weshalb) Sind Sie da noch guter Dinge?
Jänicke: Meiner Meinung nach bekommt man oft den Eindruck vermittelt, dass die Menschen weniger empathisch und „unsozialer" werden. Allerdings finde ich, dass das gar nicht unbedingt die Wirklichkeit wiederspiegelt. Insbesondere in meiner Arbeit begegne ich sehr vielen Menschen, teils auch jüngeren im Bereich von 16 bis 18 Jahren, die mich sehr positiv gegenüber der Zukunft stimmen und mir regelmäßig zeigen, dass eine angeblich „unsozialer" werdende Gesellschaft oft nur eine Illusion ist, nicht die Realität. Vor allem in einer Zeit, in welcher immer mehr Menschen mit psychischen Problemen und Belastungen zu kämpfen haben, halte ich es für besonders wichtig, sich wieder auf unsere Kernkompetenzen als soziale Wesen zu berufen und füreinander einzustehen!
Wie sieht denn Ihr Arbeits- und Studienalltag grundsätzlich aus?
Eggers: Ich habe zwei feste Studientage pro Woche, an denen ich an den Vorlesungen der Berufsakademie Wilhelmshaven teilnehme. Die Vorlesungen verlaufen nach einem vorgegebenen Stundenplan und finden zwischen 8 und 17.30 Uhr statt. Drei Tage pro Woche arbeite ich in meiner Praxiseinrichtung, in der Regel für jeweils acht Stunden. Meine Arbeitszeiten sind immer etwas unterschiedlich, da meine Praxiseinrichtung – ich bin bei den AWO Wohnortnahen Erziehungshilfen in Wilhelmshaven tätig – teilweise im stationären Betrieb und somit im Schichtdienst arbeitet. Dienstplanwünsche sowie natürlich Urlaub werden grundsätzlich aber berücksichtigt. Was ich mir tatsächlich selber einteilen kann, ist die Zeit, die ich neben Studium und Arbeit für meine Prüfungsleistungen aufwende. An der Berufsakademie werden wenige Klausuren geschrieben und stattdessen viele Prüfungsleistungen von den Studierenden zu Hause selbst erarbeitet. Die Zeiteinteilung dieser Prüfungsleistungen liegt also größtenteils bei mir.
Jänicke: In meiner beruflichen Praxis bei der AWO Beratungsstelle für Freiwilligendienste in Rastede besteht mein Arbeitsalltag viel aus Büroarbeit. In dieser Zeit stehe ich zur Verfügung, sollten sich Klientinnen und Klienten melden, um nach Auskunft zu fragen oder Probleme zu klären. Außerhalb des Büroalltags kümmern wir uns dann um Gestaltung und Durchführung von Bildungsseminaren für Freiwilligendienstleistende. Ich habe das Glück, hier in Gleitzeit arbeiten zu können, Dementsprechend kann ich, bis auf die Kernarbeitszeiten zwischen 10 und 12 sowie 14 und 15 Uhr, frei wählen, wie spät ich zur Arbeit fahre und wann ich gehe. Dabei muss ich lediglich auf meine Wochenstundenanzahl achten, bin aber ansonsten frei in meiner Gestaltung der Arbeitszeiten.
Meine Studientage fallen da wöchentlich auf Mittwoch und Donnerstag, dementsprechend bin ich an diesen Tagen 3 bis 5 Unterrichtsblöcke lang an der Berufsakademie in Wilhelmshaven.
Hand aufs Herz: Was haben Sie sich völlig anders vorgestellt – und was hat Ihre Erwartungen (über)erfüllt?
Eggers: Ich hätte nicht erwartet, dass mir die Arbeit mit Familien so viel Spaß machen könnte. Vor meinem Studium hatte ich ausschließlich Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen ab 6 Jahren, in meiner jetzigen Praxiseinrichtung arbeite ich mit Familien, deren Kinder in der Regel jünger sind. Das ist eine völlig neue Altersgruppe für mich – und auch der Fokus, der ja auf der Arbeit mit den Eltern liegt, war zuerst ungewohnt. Ich habe jedoch bereits viele spannende Erfahrungen machen können und fühle mich in der Arbeit mit Familien schon viel sicherer als zu Beginn des Studiums. Worüber ich vor meinem Studium nicht nachgedacht habe, ist die Frustration, die entsteht, wenn die Maßnahme mit einer Familie unplanmäßig beendet wird und man am Ende oft noch nicht einmal erfährt, wie es für die Familie weitergeht.
Jänicke: Ich hätte ehrlich gesagt im Vorhinein nicht mit „so viel" Büroarbeit gerechnet, wie ich sie jetzt ausführe. Aber mittlerweile halte ich es für eine sehr gute Abwechslung zum Seminaralltag. Es gibt mir die Möglichkeit, im Nachhinein mehr zu reflektieren und auch für die Zukunft Anpassungen vorzunehmen – was deutlich schwerer wäre, wenn ich dauerhaft unterwegs wäre. Meine Erwartungen übertroffen hat außerdem der Umgang untereinander.
Was hat Sie besonders beeindruckt?
Jänicke: Ich bin persönlich vor allem von der Arbeitsmoral und der generellen Einstellung von Mitarbeitenden wie auch der Kommilitoninnen und Kommilitonen beeindruckt. Aus früheren Jobs und auch aus meinem vorigen Studium bin ich einen deutlich „härteren" und weniger freundlichen Umgang gewohnt – und bin nun äußerst froh, dass dies nicht der Fall ist.
Eggers: Bei mir sind es die vielen verschiedenen Facetten Sozialer Arbeit. Sowohl im Austausch mit anderen Studierenden der Berufsakademie, als auch durch meine eigenen Erfahrungen und die Arbeit in einem „bunten" Kollegium habe ich bereits viele neue Perspektiven kennenlernen dürfen. Soziale Arbeit ist unglaublich vielseitig und verbindet die direkte Arbeit in der Lebenswelt verschiedener Adressatinnen und Adressaten mit übergeordneten gesellschaftlichen und auch politischen Diskursen, die eben diese Lebenswelten maßgeblich prägen.
Hat sich Ihr Blick auf die politische Lage in Land und Bund denn ebenso verändert?
Eggers: Grundsätzlich verändert haben sich meine Ansichten nicht, allerdings ist mir die Größe und Komplexität diverser Problemlagen noch einmal bewusst geworden. Es lohnt sich, Probleme multiperspektivisch zu betrachten, um sie besser verstehen und einordnen zu können.
Jänicke: Ja, auch ich schaue jetzt noch gezielter und kritischer auf politische Entscheidungen, welche die Soziale Arbeit und diesbezüglich auch dessen Handlungsfelder betreffen.
Würden Sie – Stand jetzt – nach Studienende denn etwas Neues versuchen wollen – oder doch sogar tiefer in die Materie einsteigen?
Jänicke: Persönlich könnte ich mir sehr gut vorstellen in meinem jetzigen Handlungsfeld zu bleiben und weiterhin im Bereich der Freiwilligendienste tätig zu sein. Außerdem hatte ich bereits das Glück im Rahmen meines Studiums eine Hospitation in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe durchführen zu können und halte auch dieses Handlungsfeld für äußerst interessant, da mich insbesondere Bereiche der Erwachsenenbildung, sowie Planung und Durchführung von Hilfsmaßnahmen für Erwachsene und junge Erwachsene interessieren.
Eggers: Für mich steht fest, dass ich mich noch in einigen Bereichen ausprobieren möchte. Ich möchte definitiv zuerst weiter im Bereich der Jugendhilfe bleiben, kann mir aber auch vorstellen, noch einmal etwas ganz Anderes auszutesten und beispielsweise mit Geflüchteten zu arbeiten. Ich freue mich über jede Weiterbildung, die ich auch nach dem Studium erhalten kann und bin grundsätzlich für alles offen.
Was sagen denn der Freundschaftskreis und Familie zu Ihrem beruflichen Weg?
Eggers: Ehrlich gesagt, waren mein engsten Vertrauten nicht sonderlich überrascht von meiner Entscheidung. Ich bekomme aus meinem Umfeld hauptsächlich positives Feedback.
Jänicke: Das kann ich so nur unterschreiben. Generell war die Resonanz durchweg positiv, da auch vorher schon klar war, dass ich einen Weg in die soziale Richtung anpeilen würde. Einzig negative Bemerkungen waren hauptsächlich gegenüber der finanziellen und politischen Lage des sozialen Sektors ausgesprochen worden, nicht aber gegenüber meiner Berufswahl direkt. Lediglich kleinere negative Reaktionen kamen, da ich mein vorangegangenes Studium der Sonderpädagogik und der Philosophie im Laufe des vierten Semesters abgebrochen habe, um zur Sozialen Arbeit wechseln zu können. Doch auch diese waren schnell vergessen, da ich Theorien und Handlungspraktiken aus dem vorherigen Studium auch auf das neue Studium der Sozialen Arbeit anwenden kann und konnte.
„Grau ist alle Theorie", heißt es. Aber stimmt das? Ist sie lediglich Mittel zum Zweck oder hilft sie tatsächlich neben dem Praxisteil weiter?
Eggers: Meiner Meinung nach ist das theoretische Wissen wichtig für eine professionelle Soziale Arbeit. Natürlich kann ich nicht jedes Modul direkt auf meinen Alltag in der Praxis beziehen, allerdings überschneidet sich beides doch in vielen Aspekten. Ich würde die Theorie aber nicht direkt als Ausgleich sehen, sondern vielmehr als notwendige Grundlage, die durch die Praxis ergänzt und abgerundet werden kann.
Jänicke: Ich halte den theoretischen Teil für ebenso wichtig wie den praktischen Teil des Studiums. Es ist immer einfach zu handeln, aber meiner Meinung nach ist es umso wichtiger zu wissen, wieso man handelt und dass man die gewählten Aktionen auch erklären und sinnvoll reflektieren kann. Dafür ist definitiv ein gewisses Maß an theoretischen Wissen erforderlich und dieses halte ich auch für unabdingbar.
Da Sie nun ja schon vertiefte Einblicke erhalten haben: Wo sehen Sie Probleme oder mindestens Herausforderungen im Sozialen Sektor auf die Gesellschaft zukommen?
Eggers: Meines Erachtens nach werden viele gesellschaftliche Probleme nicht ursächlich behandelt, sondern ausschließlich die „Symptome" bekämpft. Das wird gerade in der Sozialen Arbeit deutlich. Viele individuelle Problemlagen und Herausforderungen sind auf strukturelle Defizite zurückzuführen, allerdings werden nicht die strukturellen Probleme in den Fokus gerückt, sondern lediglich die Betroffenen auf Angebote der Sozialen Arbeit verteilt. Die Soziale Arbeit kann in diesem Fall zwar – metaphorisch gesprochen – als „Feuerlöscher" agieren, die Brandursache wird jedoch nicht beseitigt. Wenn sich Rahmenbedingungen nicht ändern, werden auch individuelle Schwierigkeiten immer weiter zunehmen und über Generationen weitergetragen. Hinzu kommt, auch besonders in Bezug auf die Soziale Arbeit, die immer größer werdende Problematik des Fachkräftemangels. Den vielen Fällen kann ohne ausreichend Personal in allen Bereichen der Sozialen Arbeit keine Einrichtung gerecht werden.
Jänicke: Ich denke, die Gesellschaft im Allgemeinen befindet sich auf einem guten Weg zu einem besseren Verständnis von psychischen und gesellschaftlichen Problemen. Allerdings sehe ich eine große Gefahr in der aktuellen politischen Lage diesbezüglich, insbesondere mit Hinblick auf drohende Haushaltskürzungen in den Sozialbereichen, wie unter anderem den Freiwilligendiensten.
Welche Tipps geben Sie jungen Menschen denn da nun mit auf den Weg ins Duale Studium Soziale Arbeit? Können Sie dieses überhaupt noch empfehlen?
Jänicke: Ich kann jeder und jedem, der oder die sich für die Arbeit mit Menschen im sozialen Bereich interessiert, ein Duales Studium der Sozialen Arbeit mit bestem Gewissen weiterempfehlen. Wichtig ist dabei, sich früh genug um einen Platz zu bemühen, um nicht in Verzug zu geraten – so wie es bei mir der Fall war. Meine Tipps für angehende dual Studierende der Sozialen Arbeit: offen gegenüber Neuem sein und sich im Laufe des Studiums ein eigenes Verständnis für das eigene Handlungsfeld entwickeln. Jeder Mensch arbeitet unterschiedlich – und nur über ein selbst entwickeltes Verständnis der eigenen Tätigkeiten ist es möglich, dieses auch konstruktiv zu reflektieren und einen eigenen Handlungsansatz, der zu einem passt, zu finden.
Eggers: Ein Duales Studium in der Sozialen Arbeit ist meiner Meinung nach absolut empfehlenswert. Die direkte Verknüpfung von Theorie und Praxis erleichtert das Verstehen und ist gerade in diesem Bereich unglaublich wichtig. Bevor man ein solches Studium startet, sollte man sich allerdings dem Umfang dessen bewusst sein. Es gibt keine monatelangen Semesterferien und es kann manchmal sehr fordernd sein, das Studium und die dazugehörigen Prüfungsleistungen mit Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bekommen.
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Zum Hintergrund
Das Duale Studium Soziale Arbeit startet immer im Oktober eines Jahres. Die Bewerbung sollte rund 12 Monate vorab erfolgen. Die Studiendauer beträgt sechs Semester, Praxisstandorte bei der AWO sind im kommenden Jahr Bad Salzdetfurth, Merzen und Wilhelmshaven. Neben einer Hochschulzugangsberechtigung sind sehr gutes Denk- wie Sprechvermögen, eine hohe Motivation für die Soziale Arbeit und Freude am Umgang mit Menschen, aber auch interkulturelle Kompetenz und eine hohe Empathie nicht nur vorteilhaft, sondern erforderlich. Die AWO Weser-Ems übernimmt die Semestergebühren und zahlt ein monatliches Entgelt, das sich am aktuellen BAföG-Höchstsatz orientiert. Fragen zum Thema und zur Bewerbung beantwortet Marcel Heyen unter Tel. (0441) 480 12 09 oder E-Mail: marcel.heyen@awo-ol.de