Höhere Abgaben und größere Zukunftssorgen – die nun entfachte gesamtgesellschaftliche Diskussion über den explodierenden Pflege-Eigenanteil ist eine in Berlin hausgemachte. „Genau vor diesen Millionen Individual-Katastrophen haben wir als AWO bereits vor Verabschiedung des Bundeshaushaltsentwurfs gewarnt", sagt Thore Wintermann, Vorstand Verband und Politik der AWO Weser-Ems. „Dass sich Bundesregierung und Opposition plötzlich über den massiven Anstieg des Eigenanteils in der stationären Pflege wundern, zeigt deren langjährige Missachtung des Systems. Ihre Mini-Reform ist ein Schlag ins Gesicht aller Beitragszahlenden. Bis zur endgültigen Verabschiedung des Etats und zwingend nötiger Korrekturen ist zwar noch ein wenig Zeit – aber Aufschrei und Empörung ihrer Wählerschaft hat sich die Politik hier selbst eingebrockt."
Riesiger Eigenanteil übertrifft Mini-Rente bei Weitem
Wer nun also plötzlich zum Pflegefall wird und nicht daheim ambulant versorgt werden kann, muss mit einem monatlichen Eigenanteil von durchschnittlich 2400 Euro im ersten Aufenthaltsjahr rechnen. „Das ist viel mehr als der größte Teil der Bevölkerung in unserem Land monatlich an Rente erhält", sagt Dr. Harald Groth, Vorsitzender des Präsidiums der AWO Weser-Ems. Laut Statistischem Bundesamt sind rund fünf Millionen Menschen pflegebedürftig, etwa ein Sechstel wird demnach vollstationär in Pflegeeinrichtungen betreut.
„Und wir alle wissen, dass aufgrund des demographischen Wandels die Tendenz steigend ist – wenn aber niemand mehr Pflege bezahlen kann, wird auch niemand mehr bereit sein, diese zu übernehmen. Der Fachkräftemangel ist Folge eines Erosionsprozesses, der mit einer Pflege-Reform im Kleinformat nicht aufgehalten werden kann. Hier muss die Politik ansetzen. Schnell." AWO-Vorstand und Präsidium fordern deshalb „umgehend eine erneute Reform der Pflegeversicherung, die die Pflegebedürftigen bei den Eigenanteilen – vor einer Vollversicherung – so sehr entlastet, dass jemand mit durchschnittlichem Alterseinkommen diese aufbringen kann und nicht zum Sozialamt muss", ergänzt Dr. Harald Groth.
Mehr-Punkte-Programm könnte Abhilfe schaffen
Ein Mehr-Punkte-Programm könnte Abhilfe schaffen. Als vorrangig anzugehende Aufgabe sieht die AWO Weser-Ems hier den schon seit vielen Jahren geforderten „Sockel-Spitze-Tausch", sprich: Der Eigenanteil ist ein fixer, von der Allgemeinheit aus der durchschnittlichen Altersrente bezahlbarer Beitrag. Was darüber hinaus geht, also beispielsweise nicht planbare kurzfristige Kostensteigerungen, fällt in das Risiko der Pflegeversicherung. Zweitens: Die reine Behandlungspflege auch in Pflegeeinrichtungen muss zur Entlastung der Pflegeversicherung von den Krankenkassen übernommen werden – für gleiche Tätigkeit im häuslichen Umfeld sind Krankenkassen bereits die Kostenträger. Auch der Bürokratieabbau in der Sozialversicherung (Beispiel: Buchungen und Abrechnungen erfolgen digital, müssen im Anschluss aber durch analoge Quittungs-Pakete zusätzlich belegt werden) und eine einheitliche Bürgerversicherung für alle könnten für mittel- bis langfristige Verbesserungen insbesondere in der Pflege sorgen.