AWO Weser-Ems feiert Wiedergründung im Jahr 1948
AWO? Kennt man, hat man schon gehört oder irgendwann einmal selbst zwischen Geburt und Alter – ob in Kita, Jugendfreizeit, bei akutem Hilfebedarf, zur Reha oder in der Pflege – in Kontakt gestanden. Aber was macht die Arbeiterwohlfahrt tatsächlich aus und was sind gute Gründe, ein Dreivierteljahrhundert nach Wiedergründung 1948 nun unter dem markanten Herz-Symbol zu feiern? Ein Blick in die Fläche gibt Aufschluss. Dorthin, wo AWO wirkt.
Metjendorf, ein kleiner Ortsteil Wiefelstedes, Tür an Tür zur Großstadt Oldenburg. Es ist 1978, Mitte März – und viele junge Familien suchen hier eine neue Bleibe, aber auch einen Anker für sich und ihre Kinder. Denn der Wunsch nach Entlastung ist groß, die Geldbeutel aber oft leer: Gemeinsam organisierte, bezahlbare Ausflüge für Kinder sollen Abhilfe schaffen und erste drängende Bedarfe decken. Sie rufen also in Metjendorf einen Ortsverein ganz im Zeichen und nach den Grundsätzen der AWO ins Leben.
Heute, 45 Jahre später, ist Renate Heerwagen wie damals mit ganzem Herzen dabei, mittlerweile aber auch mit und von über 200 Gleichgesinnten im Ortsverein vernetzt und gestützt. Gemeinsam werden Veranstaltungen für Jung und Alt organisiert, es gibt Wassergymnastik und Grillnachmittage, Theaterbesuche und, na klar, Kinderausflüge. Aber auch Basare und Märkte, deren Erlöse direkt in weiteres lokales Engagement fließen. Für die Menschen vor Ort, die Bedarfe jedweder Art haben, die aber auch eine starke Gemeinschaft und eine Stimme benötigen. Matthias Arndt, aktueller Ortsvereinsvorsitzender und selbst im Rechnungswesen des Bezirksverbandes tätig, betont: „Die AWO Weser-Ems ist nicht nur was für ältere Menschen. Wir sind für alle da."
Zwei Welten in einem Verband
Das sehen Kiona Ronnewinkel und Dr. Harald Groth nicht anders. Sie hat gerade den ersten vollen Monat ihrer Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen bei der AWO gemeistert und lernt den riesigen wie komplexen Verband Tag um Tag besser kennen – er hingegen ist ein im wahrsten Sinne ausgezeichnetes AWO Urgestein, über viele Jahrzehnte hinweg Aushängeschild des Bezirksverbandes und nicht zuletzt Vorsitzender des Präsidiums: „Die lange Zeit tut aber nichts zur Sache", so Groth, „denn unsere Grundwerte erfordern täglich aufs Neue Einhaltung und Pflege in so vielen Bereichen des Lebens – von uns allen."
Beide stehen, unabhängig vom Alter und etwaiger Erfahrungswerte, für die auch in dieser Form so nötigen Gegensätze innerhalb der AWO. Das Hauptamtliche auf der einen, das Ehrenamt auf der anderen Seite. Beides ist für das Funktionieren eines Wohlfahrtsverbandes, für das Miteinander und Füreinander, von großer Bedeutung. „Dabei sind die Ortsvereine und Kreisverbände essenziell", sagt Groth, „sie tragen die Werte der AWO – Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz – kontinuierlich durch die Generationen, wie eben hier in Metjendorf."
Etwas mit Herz für die Gemeinschaft
Kiona Ronnewinkel indes ist nicht in die AWO Welt hineingeboren, sondern vielmehr „hineingerutscht", wie sie selbst sagt. „Klar, etwas mit Herz" wollte sie schon machen, damit aber zugleich auch den Lebensunterhalt finanzieren können. Mit den AWO Werten könne sie sich da allemal identifizieren; wissend, dass ihre „Generation Z" dies übergreifend ähnlich empfinde.
Ob Harald Groth nun Generation V, W oder doch ein „Vor-Boomer" ist, ändert nichts an seiner Streitbarkeit fürs Gute und Gerechtigkeit unter dem Herzens-Signet. Als studierter Sozialarbeiter und einstiger Bewährungshelfer kennt er die Abgründe im Leben. Als Ratsherr, Oberbürgermeister, aber insbesondere als AWO Mensch müht er sich seit über fünf Jahrzehnten um Hilfestellungen, damit andere ihre Kraft zur Selbsthilfe finden. Alles im Sinne der unverrückbaren AWO Leitplanken, alles im Zeichen des Herzens. Alles wie seit 75 Jahren.
Herzschlag auf Herzschlag
Die AWO Weser-Ems hat jede gesellschaftliche Entwicklung mitgemacht, problematischen Tendenzen oft genug innovativ und frühzeitig entgegengewirkt. Da war beispielsweise die Einrichtung von professionalisierten Sprachheilzentren für Kinder – bis heute ein Markenzeichen des Verbandes. Völlig konträr hingegen das Thema Altenpflege: In den 60er-Jahren baute die AWO Weser-Ems Altenpflegeeinrichtungen und setzte mit ihnen neue Maßstäbe. Neben stationären Einrichtungen entwickelte sie viele Angebote der offenen Altenhilfe: Schon 1959 wurde die erste Begegnungsstätte in Delmenhorst eröffnet. Heute ist sie die älteste ihrer Art in Deutschland.
Die Realisierung weiterer bis dato exklusiver Ideen schloss sich an: In der Arbeit für Menschen mit seelischen Behinderungen brachte das Konzept des „Trialogs" bereits 1973 Betroffene, Angehörige und professionell Helfende in die aktive Zusammenarbeit, 2008 wurde zur Bewältigung von Akutsorgen pflegender Angehöriger die erste Pflegenotaufnahme Deutschlands gegründet. Immer wieder warf und war die AWO Weser-Ems also selbst Anker in einer sich stets wandelnden Gesellschaft. Auch bei der Hilfe zur Selbsthilfe übernehmen die Ortsvereine als Startpunkt und Vermittlungsstelle zu den kompetenten Ansprechpersonen bis heute eine enorm wichtige Funktion. Weil sie ganz nah bei den Menschen sind.
Junge Gesichter in traditionellen Berufen
Kurzum: Die Haupt- und Ehrenamtlichen der AWO Weser-Ems entwickelten in den zurückliegenden 75 Jahren zahlreiche Projekte, die bis heute etabliert und angesehen, ja vielfach kopiert sind. Dass auch die Werte zwar auf traditionellem Boden gründen, aber weiter wachsen und gedeihen dürfen, versteht sich von selbst. Die regelmäßig stützende Teilnahme am CSD, die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt, ein steter Kampf gegen Rassismus, nun auch Forschungsarbeit im Gebiet der Neurowissenschaft und Künstlicher Intelligenz – all das ist Teil des Weges, an dem sich die AWO Weser-Ems immer wieder aufs Neue messen lassen muss und will.
Für Kiona Ronnewinkel eine Selbstverständlichkeit: Trotz mancher Herausforderungen, die eine so diverse Gesellschaft ja mit sich bringt, will sie ihren Part zu einem Gelingen der Verständigung beitragen und die AWO Werte leben. Dies aber erst einmal nur im ohnehin anspruchsvollen Job, fernab der Mitgliedschaft in einem Ortsverein. Verständnis und Bedauern darüber geben sich bei Harald Groth die Klinke in die Hand. Denn so wie die Gesellschaft ist auch die AWO stetem Wandel ausgesetzt. „Damit unsere alten Werte immer wieder mit Leben gefüllt werden können, ist es wichtig, sich beständig selbst zu hinterfragen. Wenn die Menschen nicht zum Ortsverein kommen, müssen wir halt in die Köpfe der Menschen", sagt er, „das ist die Herausforderung der kommenden Jahre."
Ob dies nun haupt- oder ehrenamtlich geschieht, stünde nicht zur Diskussion. Engagement braucht Menschen, die sich für unsere Gesellschaft und Demokratie einsetzen wollen. Menschen, die ihren Teil zu einer gerechteren, solidarischen und toleranten Welt beitragen. Miteinander füreinander. Gelingt dies, wird die AWO Weser-Ems mit ihren über 4.200 Hauptamtlichen und der riesigen Zahl an Ehrenamtlichen und Mitgliedern auch in Ortsvereinen wie eben Metjendorf noch lange das gesellschaftliche Bild mindestens mitbestimmen und ein sozialpolitisches Zünglein an der Waage sein können.
Zum Hintergrund:
1948 wurde der AWO Bezirksverband Weser-Ems e. V. durch Elisabeth Frerichs wiedergegründet. Schwerpunkte der damaligen Arbeit lagen auf der Unterstützung für Geflüchtete aus den ehemals deutschen Ostgebieten sowie Angebote für Kinder, etwa zur Ferienerholung. Schnell folgten die Umsetzung moderner Ideen und eine weitreichende Professionalisierung in den Bereichen Sprachheilarbeit, Altenhilfe und Unterstützung für Menschen mit seelischer Behinderung. Die AWO Weser-Ems trägt mit ihren generationenübergreifenden sowie interkulturellen Angeboten und Diensten einen wertvollen Part zur Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur und der Teilhabe im Nordwesten Niedersachsens bei. Sie investiert insbesondere in ländliche Räume, um die Versorgung der Menschen vor Ort zu stärken. Mehr zur Geschichte der AWO und des AWO Bezirksverbandes Weser-Ems unter
https://www.awo-ol.de/Ueber-uns/Geschichte-der-AWO.php
Die Vorsitzenden des AWO Weser-Ems Bezirksverbandes seit Wiedergründung:
1946 - 1959: Elisabeth Frerichs
1959 – 1967: Pauline Ahlsdorff
1967 – 1976: Hans Richter
1976 – 1989: Wilhelm Beckmann
1989 – 1995: Klemens Große Dartmann
1995 – 2003: Karin Börsch
2003 – heute: Dr. Harald Groth