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Teilhabe gestalten: Alles auf Augenhöhe


08. November 2023

Verbesserungen für Menschen mit Beeinträchtigung / Bundesteilhabegesetz in der Umsetzung / Erste wissenschaftliche Zwischenauswertung bei der AWO Trialog Weser-Ems GmbH

Mehr Selbstbestimmung, mehr Teilhabe – das Bundesteilhabegesetz (BTHG) sieht deutliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen vor. Mit deren konkreter Umsetzung beschäftigt sich die AWO Trialog Weser-Ems GmbH bereits seit einigen Jahren, soll in den angeschlossenen Einrichtungen und Diensten der Behindertenhilfe doch sukzessive die bislang einrichtungszentrierte nachhaltig in eine personenzentrierte Leistung überführt werden. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, jetzt gab es eine erste Auswertung.

„Das heißt, wir wollen auf Augenhöhe mit unseren Klientinnen und Klienten agieren", so Anna Dierks – bei der AWO Trialog Koordinatorin für das Projekt ‚Teilhabe gestalten'. „Sie haben schließlich die Expertise in eigener Sache und erarbeiten gemeinsam mit uns all jene Handlungen, die ihnen eine selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lebensführung ermöglichen."

In der Praxis bedeutet dies: Vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten werden gemeinsam analysiert und mit übereinstimmender Zielvereinbarung in der Planung berücksichtigt; auf ihr basieren dann sowohl die Ausgestaltung der erforderlichen wie gewünschten Assistenzleistungen, aber auch die Teilnahme an ausgewählten Angeboten der Einrichtung wie zugehöriger Dienste. Dazu gehört beispielsweise die Unterstützung bei der Zubereitung von Mahlzeiten in Kochgruppen oder auch die Hilfe bei der regelmäßigen Dokumentation via Stimmungstagebuch, so zur Entwicklung von alternativen Verhaltensweisen im Umgang mit etwaigen Krisen.

Entsprechend sollen alle Wohnangebote der AWO Trialog in den kommenden Jahren umstrukturiert werden, Menschen mit Beeinträchtigungen sich auf vielfältige Weise in eben diesen Prozess einbringen können. Die Umsetzung stellt Einrichtungen und Mitarbeitende vor große Herausforderungen, da bis dato die historisch gewachsene Fürsorge als wegweisend galt.

„Die neue Teilhabe darf jedoch nicht als Selbstständigkeit ohne jegliche Begleitung für unsere Klientinnen und Klienten missverstanden werden", so Dierks, „vielmehr sollen Menschen mit Beeinträchtigungen in ihrem selbstständigen und selbstbestimmten Handeln gestärkt werden. Dafür müssen natürlich die Rahmenbedingungen angepasst werden, damit ein individuelles Leben und Wohnen möglich, aber auch von allen Beteiligten regelgerecht und gut umgesetzt wird."

Zwar folgt die AWO Trialog Weser-Ems GmbH hier in erster Linie dem Sozialgesetzbuch neun (SGB IX). Die Basis dafür ist allerdings schon im Jahr 2009 von der UN-Behindertenrechtskonvention gelegt worden. Hier heißt es, dass alle Menschen mit Behinderung gleichberechtigt und in gleichem Maße wie Menschen ohne Behinderung von ihren Menschenrechten und Grundfreiheiten Gebrauch machen können.

Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet, eine erste Zwischenauswertung wurde jetzt vorgenommen und diskutiert. Wie wird der Personaleinsatz bestmöglich auf die veränderten Abläufe abgestimmt, wie die kontinuierliche und verlässliche Leistungserbringung sichergestellt? Und: Welche Auswirkungen haben diese Änderungen auf die Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten, aber auch der Mitarbeitenden? Klar ist: Es bedarf verbindlicher Strukturen für alle Beteiligten, kontinuierlicher Überprüfungen – und einer Vision. „Und wir haben allseitig erkannt, dass wir bei ausbleibenden unmittelbaren Erfolgen im großen Ganzen nicht vorschnell aufgeben, sondern die Arbeit fortsetzen und Motivation aller Mitwirkenden aufrechterhalten müssen", sagt Dierks. „Ein Prozess, der jahrzehntelang anders gehandhabt wurde, kann nachvollziehbarer Weise nicht binnen weniger Monate umgekehrt werden. Dieser Change-Prozess erfordert viel Kraft, lässt aber auch die Hoffnung auf eine wertvolle Zukunft in diesem Themenfeld wachsen."

Hier sind weitere Unterstützungsleistungen nötig, auch um individuelle Überlastungen und diffuse Ängste auf beiden Seiten zu überwinden. Der Evaluationsprozess wird fortgesetzt und jährlich neu bewertet. Dierks dazu: „Das BTHG ist keine Wahlmöglichkeit, sondern Gesetz und Pflicht – der Paradigmenwechsel kann daher nur ganzheitlich, langfristig und in gemeinsamer Anstrengung erfolgen. Sich nicht zu verändern, ist keine Option."

Zum Hintergrund

Durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) wird u. a. ein neuer Behinderungsbegriff im § 2 SGB IX umgesetzt. Eine Behinderung wird nicht mehr als Eigenschaft einer Person betrachtet, sondern als Wechselwirkung zwischen Umweltfaktoren und persönlichen Beeinträchtigungen. Die Leistungen der Sozialen Teilhabe orientieren sich künftig nicht länger an der Wohnform, sondern am persönlichen Bedarf der leistungsberechtigten Person. Alle AWO Mitarbeitenden setzen bei der Umsetzung der personenzentrierten Planung auf größte Wertschätzung und Respekt. Dabei stehen die leistungsberechtigte Person und deren persönliche Situation im Mittelpunkt. Alle Handlungen orientieren sich stets am Notwendigen, um eine bestmögliche Soziale Teilhabe und Selbstständigkeit zu ermöglichen.

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